Auf der Galerie

Eine kleine Tierkunde der Opernbesucher

Geschrieben am 25.04.2017

Über allerhand Tierisches zwischen Galerie und Parkett

Der Ausführgockel

Ganz besonders schick hat er sich gemacht, um seine Dame mit Fachwissen und eigenem Glanz zu beeindrucken. Der rotweinfarbene Samt war ihm nicht zu extravagant, die große Fliege am Haifischhemabschluss konterkariert seine grau ondulierte Mähne während er gewandt die Treppen im Seitwärtsschritt emporschwebt, um trotz Musik und Kunst doch selbst der Mittelpunkt zu bleiben.

Die Perlenhyäne

Gern in Gesellschaft des Gockels oder alleine unterwegs. Dann gerne leicht nach vorn gebeugt auf der Suche nach etwas. Nach ihrem Platz, nach der Begleitung, nach der Bühne oder nach sich selbst. Die Perlen ziehen am langen Hals, ein Stock stützt oft gegen. Als Foyer-Camouflage nutzen die silbrigen Pailletten, die ein altersloses Verwirrspiel des Glitzerns ermöglichen.

Der Abobulle

Selbiger hängt frühzeitig den Nacken nach hinten ein, schiebt den Lesehelfer dafür nach vorne, vertieft sich mit gerunzelter Stirn ins dicke Programmheft und vergisst das Einmarschallerlei um sich. Nur mit Mühe und leisem Knurren lässt er Gelegenheitsvolk vorbei, könnte doch ein jeder regelmäßig und frühzeitig erscheinen.

Der Trachtendackel

Der Grund des Trachtenausführens ist weniger wichtig, als die adrett-korrekte Erscheinung Försterimitators. Loden ist Tradition, Schutz und alternativlos. Wagner sucht er, Regie jagt er, Janacek meidet er und Jeans verleidet‘s ihm. Er hält sich im Hintergrund und prüft die bunteren Anwesenden aus forstgrüner Kritikfähigkeit. Dabei wundert er sich, dass so mancher keine Tracht trägt

Der Studienstorch

Für Garderobe keine Zeit, doch die Partitur anstatt der Dame untergeharkt eilt er spät die Treppe empor, kommt er doch direkt aus dem Studiolo und entkam der Büchern, um nur aufzuatmen und wieder echten Genuss mit bebuchter Führung zu genießen. Er nimmt die Umgebung und etwaige Gefahren wie andere Besucher nicht wahr, sondern hüpft geschwind über sie hinweg, damit er beim dritten Läuten noch knapp hineinhuscht und es wieder grad noch geschafft hat.

Der Kulturenthusiast

Genießt. Beobachtet. Erregt sich und freut sich.

Balkonplanzen

Geschrieben am 19.05.2016

Eine kleine Pflanzenkunde über Galeriebewohner

Allerlei Exotisches aus der Flora der Opern- und Theaterbesucher versammelt sich allabendlich auf den günstigeren Rängen der großen Häuser, um ihrem Götzen, der Kultur zu huldigen. Allerhand Wildes, Verrücktes, Farbenfrohes, Duftintensives ist darunter und wie auf jedem Balkon reiht sich eine Menge verschiedenster Pflänzchen auf engem Raum mit Aussicht ins Licht.

Die Urpflanzen trifft man gewöhnlich schon einige Plätze vor sich beim Anstehen um die guten Stehplatzkarten vor dem nächsten Highlight, sozusagen der Samenbank oder dem Dehner des zentralen Kartenvorverkaufs. Gibts bei Aldi Geranien verhält es sich wie, wenn ein Ring oder die Damrau „anstehen“ - dann wird ordentlich gedrängelt. Ansonsten kann der Kulturgärtner jedoch auch Kontakt schliessen, Fachwissen breitest auslegen, Sänger vergleichen und das eigene Knowhow proklamieren. Gar manche zarte Romanze entspinnt sich zwischen dem Connaisseur mit Halbglatze („Ach die … hat doch ein Vibrato zum n‘Hut durchwerfen.“) und der Basisliebhaberin Mitte sechzig („Welcher Verdi war das mit der Schwindsucht?“), wenn man sich gegenseitig belehren oder belehrt werden, nun ja sprießen darf. Beim Umgraben wächst zusammen, was zumindest für einen Opernabend zusammengehört.

Darum zurück ins Beet:

Gerade die älteren und verwurzelten Gewächse erfreuen das junge Balkongemüse durch ihren reizenden Sittenwuchs.

Ein wirklich urgroßvaterhafter Wagnerianer, alt wie Erda, musste vier Abende lang im Ring mithilfe der Pillenuhr immer Schlag halb 8 dank der Pharmazie dem Blutdruck etwas nachhelfen, konnte dafür bis zu den dämmrigen Göttern durch-stehen.

Ein blumig gekleideter Herr im Parsifal erklärte, dass er seit Jahren die Inszenierungen nicht mehr verfolge, sondern ausschließlich die Holzbläser und -bläserinnen mit der Unterstützung eines antiken Opernguckers im Auge behielte. Das tat er dann auch über die gesamte Länge des Weihespiels, für ihn den erlösenden – und bei weitem nicht immer im Einsatz verwei(h)lenden - Oboen und Fagotten geweiht.

Extrovertiertheit ist dabei keine Tugend des Alters. Auch das mittlere Pflanzenalter marschiert über den Balkon wie ein Strauß Blumen. Wagnerkonterfei auf schwarzem T-Shirt zu dunkelschwarzer Perücke in Kaufhausoptik? Schon gesehen. Bebrillter, shortstragender Angelsachse dem Angelparadies entlaufen? Vor mir in der Turandot.

Die laxe Kleiderordnung stört den Enthusiasten ein wenig, der auch auf dem Rang Tuch zur Krawatte wählt, doch er verzeiht viel, jedoch nicht olfaktorische Missstände - wie in einer Traviata. Muffelt die Vorderpflanze modrig, ja welkt sie bereits im ersten Akt, empfiehlt es sich, den Balkon umzugraben, um unter frischen Blumen den Graben zu überwinden und den Helden und Heldinnen an der Rampe zu Füssen zu fallen.

Jäger und Sammler

Geschrieben am 19.05.2016

Über notwendige Führung durch die Kunstwelt

Ein guter Führer ist notwendig. Auf der Straße, in der Fremde und in der Kultur erst recht. Auch zu Zeiten des schnellen Googlens und der langsamen Wikileserei braucht es einen Standardwälzer, der knapp vor der Oper konsultiert werden darf, um die Rheintöchternamen zum vierzehnten Mal zu memorieren, die wirre Trovatorehandlung nachzuzeichnen (am besten mit einem Generationenschema) und um die Mozartdamen nicht erneut zwischen allen Donnen durcheinanderzubringen.

Dem Kulturenthusiasten dient dazu ein vererbter, alter Knaurs Opernführer der schon etwas ausgeleiert doch regelmäßig genutzt immer griffbereit steht. In den Führer – bei den Verlägen seien da keine Präferenzen genannt – sind alle Karten eingelegt, die der stolze Enthusiast besuchen durfte. Bei einer Carmen wird es da schon dicker, beim Ödipus Rex eher schlanker. Das Schmökern im beträchtlich angewachsenen Schinken offenbart ein jedes Mal die eigene Kunstbiographie und erwärmt das Herz. Vertraute Karten der Stammhäuser schmiegen sich an Raritäten von Reisen. Die Karte in der Seite weckt dann die damit verbundene Geschichte jenseits des Kunstinhalts…

Vielleicht von einem lieben Menschen, oder einer Liebe geschenkt, vielleicht mit einer besonderen Erinnerung verbunden? Karten repräsentieren stellvertretend für die Abende in der Oper wie im Theater immer mehr, als nur den einmaligen, produktionsgebundenen Genuss, sondern einen Teil des eignen Lebens; für viele gar einen Höhepunkt der Jahres.

Chenier in Bregenz, Elektra Open Air in Oberammergau, Traviata im Innenhof in Rom; das sind nur Auszüge der Ticketbiographie des Enthusiasten. Er denkt dabei zurück an römische Luft, an die Wiener Philharmoniker zur Elektra, an den Kopf aus dem Bodensee ragend - die Bühne für den Giordano. Er denkt auch an die Tage, die wundervolle Begleitung, das gemeinsame Erleben und sammelt alle diese Erinnerung behelfsweise in seinem Führer.

Das Sammeln aber macht Lust auf die nächste Jagd nach einer neuen Karte, in eine neue Seite, eine neue Erfahrung und einen neuen Schatz für ein Kulturleben. Bis der Führer platzt und erfüllt zugleich.